Zur DITIB Kassel Mattenberg und ihrer fatalen Normalisierung durch bürgerliche Bündnispartner

Die DITIB-Gemeinde im Kasseler Stadtteil Mattenberg hat sich in den letzten Jahren, besonders seit dem gescheiterten Sturz und dem darauffolgenden politischen Aufstreben Erdogans 2016, immer deutlicher politisch positioniert. Als zentralistisch organisierter Verband sind die DITIB-Gemeinden Deutschlands direkt der türkischen Behörde für Religionsangelegenheiten Diyanet, und somit Erdogans AKP-Regierung, angegliedert. Dementsprechend verschärfen sich die politischen Zustände nicht nur innerhalb Erdogans protofaschistischer Diktatur der Türkei; auch in DITIB-Gemeinden in Deutschland weht der Wind islamistisch-nationalistischer Bestrebungen und somit des faschistoiden Gedankenguts der Regierungsparteien AKP und MHP. Dies zeigte sich während der türkischen Militärinvasionen in Afrin und Rojava in allen DITIB-Gemeinden Kassels, die DITIB Mattenberg fiel jedoch bereits kurz nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 besonders auf:

Der damalige Imam Semih Öğrünç schwor die Anhänger seiner Gemeinde in Reaktion auf die gescheiterte Entmachtung Erdogans auf die türkische Nation und Vaterland ein. Auf dem Königsplatz der Kasseler Innenstadt rief er in einem Gebet vor einer Gruppe von etwa 500 Personen zum Märtyrertod für die Türkei auf. Immer wieder skandierte die Menge dabei „Allahu Akbar“ oder Parolen wie „Şehitler ölmez, vatan bölünmez“ – „Märtyrer sterben nicht, das Land wird nicht geteilt“; “ Bu vatan bizimdir, bizim kalacak“ – „Das Land gehört uns, wird uns bleiben“ und “ Vatan sana canim feda“ – „[Mein] Land, dir sei mein Leben geopfert“. Öğrünç predigt den siegreichen Krieg der türkischen Gläubigen: „ Oh Herr, mit Hochachtung an unsere Märtyrer die Çanakkale[1] zur undurchdringlichen Legende machten. An die Krieger die den Moslemen die anatolischen Türen öffneten, an die osmanischen Krieger, die die Fahnen auf der Festungsmauer Istanbuls hissten.“

DITIB Mattenberg Imam Semih Öğrünç auf dem Königsplatz bei der Arbeit

Trotz der Publikmachung und Übersetzung eines Videos, welches Öğrünç und seine Anhänger beim Gebet, besessen von fanatischem Märtyrer-Nationalismus und Führerkult-Ideologie zeigt, zogen weder Gemeinde noch Stadt Konsequenzen; DITIB erhält auch weiterhin Gelder der Stadt Kassel. Erst im Dezember 2018, nicht etwa in Konsequenz seiner Äußerungen, wurde Öğrünç feierlich durch die Moscheegemeinde nach abgelaufener fünfjähriger Amtszeit zurück in die Türkei verabschiedet.

Abschiedfeier für Öğrünç im Dezember 2018

Geändert hat sich an der politischen Ausrichtung der Gemeinde, auch aufgrund der zentralistischen Organisationsstruktur und der Entsendung der Imame durch die türkische Diyanet, seitdem jedoch nichts. Regelmäßig organisiert die DITIB Mattenberg, auch in der eigenen Moschee, gemeinsame Veranstaltungen mit anderen Kasseler Gemeinden, die unter anderem dem rechtsextremen Spektrum der sogenannten „Grauen Wölfe“ zugeordnet werden können (bspw. ADÜTDF, ATIB, ATB und Milli Görüs).

Versammlung faschistischer Jugendorganisationen in der DITIB Mattenberg Moschee

Die Vernetzung der DITIB Mattenberg mit islamistisch-nationalistischen Rechtsextremen und die Offenlegung der eigenen faschistoiden Ideologie in aller Öffentlichkeit auf dem Königsplatz, scheint einige Kasseler Akteure der bürgerlichen Gesellschaft, die normalerweise demokratische Werte für sich beanspruchen, jedoch nicht zu beeindrucken. So gastierte Ex-Oberbürgermeister Bertram Hilgen, verkleidet als türkischer Sultan, bereits 2017, wohlgemerkt nach dem Märtyrer-Gebet auf dem Königsplatz, bei einer – Zitat Hilgen – „kleinen folkloristischen Einlage“ auf einem Moscheefest der Gemeinde.

Sultan Bertram Hilgen als Kulturversteher

Im Wahljahr 2019 tat es ihm die aktuelle Kasseler SPD-Fraktion gleich und posierte, ebenfalls auf einem Gemeindefest, für Fotos und den Öffentlichkeitsauftritt der Mevlana Moschee Mattenberg. Kritischer schien die Kasseler Sozialdemokratie hinsichtlich der öffentlichen Positionierung zu türkischen Rechtsextremen nach dem vielfach thematisierten Sultan-Fauxpas Hilgens nicht geworden; lediglich die Verkleidung als Kalifats-Oberhaupt ließen Anke Bergmann und Patrick Hartmann diesmal bleiben.

SPD Kassel zu Besuch bei Rechtsextremen

Zu Beginn dieses Monats veröffentlichte die HNA zudem einen an politischer Naivität nicht zu überbietenden Artikel über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Moschee-Gemeinde. Berichtet wird davon, dass Jugendliche für ältere Gemeindemitglieder einkaufen gehen, welche Schwierigkeiten sich bei Versammlungsverboten zu Ramadan ergeben und nicht zuletzt von Onlinepredigten: „Um sich trotzdem tröstend an viele Menschen zu richten sind jetzt an der Mevlana-Moschee in Oberzwehren zwei große Banner ausgerollt worden mit der zweisprachigen Aufschrift in Türkisch und Deutsch: Wir halten zusammen.“, schreibt die Autorin der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen Christina Hein.

Selbstinszenierung par excellence

Die Imame und zudem die explizit erwähnte Imamin erhalten einen wohlwollenden, multikulti-beschwörenden Artikel lang Platz, ihre Sorgen um die älteren Mitglieder der Gemeinde darzustellen. Predigten für den Märtyter-Tod in aller Öffentlichkeit, neoosmanische Expansionsbestrebungen oder die strikte Geschlechtertrennung in den Gebetsräumen sowie die strukturelle Unterdrückung der Frau durch islamische Religionspraktiken, nicht zuletzt die Verschleierung, finden in Heins Artikel keine Erwähnung.

Rechtsextremistische türkische Organisationen, wie auch die DITIB Gemeinde Mattenberg, werden durch den reaktionären Multikulturalismus bürgerlicher Akteure, in diesem Fall und auch sonst besonders häufig durch die Kasseler SPD und die HNA, also weiterhin fälschlicherweise als potentielle Bündnispartner demokratischer Institutionen normalisiert. Faschistische Momente wie Rassenideologie, Nationalismus, Führerkult oder blinder Gehorsam bis in den Tod bleiben von der deutschen Mehrheitsgesellschaft weiterhin unerkannt oder verschwiegen. Die deutsch-türkischen Verbände DITIB, Milli Görüs, oder die „Grauen Wölfe“ ATIB, ATB und ADÜTDF, können, gestützt durch deutsche Politik und Medien, ihren Schafspelz der vermeintlich gemäßigten, unpolitischen Religionsgemeinschaft weiter aufrechterhalten.

Es gilt ihre Ideologie weiterhin zu demaskieren und ihre Kollaborateure als solche zu benennen!

 

[1] Eine Stadt in der heutigen Türkei, bei der im ersten Weltkrieg osmanische Truppen einen britisch-französischen Angriff abwehrten. Heute bildet die Erinnerung an Çanakkale einen Teil des Mythos des überlegenen „Türkentums“.

500 türkische Nationalisten demonstrieren unbehelligt in Kasseler Innenstadt

Artikel vom 17. Juli 2016

Während nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei Präsident Tayyip Erdogan von seinen Anhängern in prototypisch islamfaschistischer Manier mit „Sag es und wir töten, sag es und wir sterben.“-Rufen empfangen wurde, sammelten sich am Samstag, den 16.07. auch in Kassel türkische Nationalisten, um ihren Rückhalt für das AKP-Regime zu demonstrieren. Etwa 500 Personen folgten dem Aufruf des Dachverbands der türkisch-islamischen Moscheen DİTİB und der Lobbyorganisation der AKP, UETD, sich ab 18:00 Uhr auf dem Königsplatz zu versammeln.
Die Szenerie war gezeichnet durch ein Meer von Türkei-Fahnen, vereinzelten Portraits Erdogans und Transparenten. Viele zeigten den „Wolfsgruß“, das Erkennungszeichen der „Grauen Wölfe“ und trugen Üç Hilal-Fahnen – die drei Halbmonde eben dieser rechtsextremen türkischen Gruppierung.
Immer wieder skandierte die Menge „Allahu Akbar“, weiterhin wurden Parolen gerufen wie „Şehitler ölmez, vatan bölünmez“ – „Märtyrer sterben nicht, das Land wird nicht geteilt“, “ Bu vatan bizimdir, bizim kalacak“ – „Das Land gehört uns, wird uns bleiben“ und “ Vatan sana canim feda“ – „[Mein] Land, dir sei mein Leben geopfert“. Der Imam der Mattenberger DİTİB-Gemeinde Semih Öğrünç hat unterdessen auf der Kundgebung in einem Gebet zum Märtyrertod aufgerufen:

Der islamfaschistische Charakter, der den Erdogan-Fans in der Türkei anhaftet, findet sich also zweifelsohne auch hier wieder: der Einzelne ist nichts, das islamisch-nationale Kollektiv alles.
Für den augenscheinlichen „Schutz“ der Veranstaltung zeichneten sich derweil Mitglieder der rockerähnlichen islamistisch-nationalistischen „Osmanen Germania“ verantwortlich, die sich martialisch um die Menge herum postierten. Über Informationen zu einzelnen Mitgliedern, eventuellen Treffpunkten oder sonstigen Aktivitäten, sind wir wie immer dankbar.
Die HNA entblödete sich derweil nicht, im Vorfeld Werbung für die Veranstaltung zu machen und in ihrem Bericht ein Bild der Demonstration zu zeichnen, das euphemistischer nicht hätte ausfallen können.